Service
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Sonntag Nachmittag sechzehn Uhr. Allgemeine Krisenzeit. Unsere Beiz ist voll. Der liebe Sonntagnachmittaggast will mir von seinem Spaziergang erzählen. Er hat schon die zweite Flasche Bier hinter sich und ich kann ihn kaum noch verstehen. Auch ohne Bier redet er undeutlich. Ich verstehe nur knapp, dass er mir von Vögeln berichtet, die er im Wald beobachtet hat.
Ich aber muss nett wirken und so nicke ich ihm einfach zu und lächle freundlich, wenn ich Zeit habe.
Der Spielfilm für meine Kinder ist zu Ende und sie brüllen nach Eis und Sirup mit Strohhalm.
Mein Mann ist im Vollsterss mit kochen. Manche Leute vergessen an Sonntagen zu essen, weil sie zu lange schlafen. Der grosse Hunger kommt am Nachmittag und sie bestellen die kompliziertesten Gerichte. In der Küche riecht es nach gebratenem, nach Angebranntem und nach Schweiss. Im vorbeigehen stelle ich die Lüftung ein mit dem kleinen Finger, da ich sonst keinen frei habe. Mit einem schweren Tablett versuche ich mich durch die Küche zu schleusen, Richtung Abwaschmaschine. Berge von Geschirr stehen da. Kaum freier Platz für noch mehr Teller und so weiter.
Meine Jüngste klammert sich mit beiden Fäusten an meinem Rock fest und brüllt.
Das anders Töchterlein schreit noch immer nach Eis, denn der Hund hat es ihr weggefressen. Und mein Sohn möchte mir den ganzen Film erzählen, den er gerade gesehen hat.
Ich habe einen Vogel im Kopf.
Zuerst noch mehr Eis und noch mehr Sirup für meine Kinder.
Eine Frau verlangt Milch für ihr schreiendes Kind. Die gestellte Milch ist zu heiss und nachher zu kalt und dann auch noch zu wenig und wieder zu viel. Und immer muss ich alles andere fallen lassen.
Eine andere Mutter will auch Milch für den Schoppen. Aber auf gar keinen Fall Ziegenmilch, wegen der Allergie. Ich versichere ihr, dass es in der Umgebung keine Ziegen gibt.
Eine andere Frau will Assugrin für ihren Tee. Ich kann es gerade nicht finden. Und Jemand will eine nicht zu kalte Cola. Aber alle sind kalt. Unter dem heissen Wasserhahn versuche ich die Flasche zu wärmen. Aber die Cola erträgt das nicht und explodiert.
Ich renne in den oberen Stock, in mein Zimmer und ziehe frische Kleider an.
Ich habe zwei Vögel im Kopf.
Meine Jüngste kommt und schreit wie am Spiess. Ich vergesse alles was die Gäste bestellt haben und denke an das Kindermädchen, dass ich nicht habe.
Kind trösten. Gäste noch mal nach ihren Wünschen fragen.
Die Vögel in meinem Kopf vermehren sich.
Endlich, das Assugrin. Aber die Frau ist schon fertig mit ihrem Tee und schaut mich vorwurfsvoll an.
Die Leute am Nebentisch wollen den Wein nicht trinken, den sie bestellt haben. Er schmecke nicht, sagen sie. Ich bringe ihnen einen anderen Wein, nachdem ich sie überzeugt hatte, dass dieser der allerbeste sei. Nun sind alle glücklich. Gott sei Dank.
Noch mehr Vögel in meinem Kopf.
Eine Frau bestellt eine Pizza. Eine Pizza „ rote Zora „ die reichlich belegt ist. Sie möchte aber auf der „ Zora „ nur Tomaten und Käse. Ich rate ihr, lieber eine Pizza Margarita zu bestellen. Die Frau besteht aber darauf, eine „rote Zora „ zu bekommen.
Ok, sage ich zu meinen Vögeln in meinem Kopf. Renne in die Küche und bestelle bei meinem Mann eine Pizza „ rote Zora „ ohne Pilze, ohne Artischocken, ohne Paprika, ohne Salami, ohne Schicken, Oliven, Kappen, Kichererbsen und ohne Ananas.
Ich solle doch besser gleich eine Margarita bestellen, schreit mein Mann mich an.
NEIN, schreie ich zurück. Mein Mann versteht gar nichts mehr. Ich auch nicht und meine Vögel in meinem Kopf schon gar nicht.
Meine Jüngste kommt fast nackt und mit dreckigen Gummistiefeln in die Beiz gerannt. Sie schreit und tobt, denn ihr grosser Bruder hat ihr Eis in den Brunnen geworfen. In dieser ganzen Hektik versuche ich mit einem Teil meiner Aufmerksamkeit mein kleines Töchterlein zu beruhigen. Sie möchte aber meine ganze mehr und hört nicht auf mit ihren Geschrei. Beschämt und gestresst sehe ich eine grosse Schar Menschen zur Beizentür hereinkommen. Es sind zwei Familien mit einer Schar Kleinkindern. Das hat gerade noch gefehlt, schreien die Vögel in meinem Kopf.
Zuerst muss ich die Tische abräumen, putzen und zusammenschieben. Die Väter helfen mir geduldig und umständlich. Ob sie wohl die Vögel in meinem Kopf sehen?
Nun herrscht ein wildes Durcheinander von kleinen Kindern und ich weiss nicht mehr, welche meine eigenen sind. Eigentlich müsste ich eine Akrobatin sein, um bei diesem Verkehr Gläser, Flaschen und Teller heil an die Tische zu bringen.
Ein Mann hat ein grosses Bier bestellt. Leider macht er in dem Moment, wo ich es auf den Tisch stellen will eine wilde Bewegung mit seinem Arm, trifft dabei das Bierglas und der ganze Inhalt übergießt sich über dem Kopf seines kleinen Kindes. Ich biete der Mutter meine Badewanne an. Das geht aber nun doch zu weit. Sie schaut mich völlig verstört an und ich bringe ihr einen Berg frischer Bodenlappen.
Meine Vögel fangen an zu singen in meinem Kopf.
Die Familien bestellen. Oh, sorry, Wurstsalat gibt es bei uns nicht, sage ich und nun verlassen sie unsere Beiz und es bleibt nur der Dreck von ihren Wanderschuhen unter den Tischen liegen. Ich hole meinen Besen.
Meine Kinder versuchen gerade alte Kaugummis von den Unterseiten der Tische wegzubekommen. Dabei wird wild gestritten. Ich versuche sie zu beruhigen und verteile Lolli`s.
Meine Vögel sind nun sehr aufgeregt.
Der Küchenbursche ruft an. Er meldet sich für die sonntägliche Abendarbeit ab, weil er sich den Arm gebrochen hat.
Vögel und Berge von dreckigem Geschirr.
Es hat keine sauberen Gläser mehr. ich renne hin und her um Geschirr zu waschen und Gäste zu bedienen.
Nun wollen plötzlich alle bezahlen und aufbrechen, denn das Sonntag Abendprogramm fängt bald an im Fernseher.
Die Zahlen auf den Rechnungen sehen aus wie Vögel.
Ich kann nicht mehr rechnen. Auf jeden Fall nicht so schnell wie ich und meine Gäste das möchten.
Meine Kinder sind schmutzig, müde und hungrig. Ich schicke sie hinauf in unsere Privatküche, um Cornflakes zu essen. Dabei denke ich daran, wie wohl nachher die Küche aussehen wird. Aber dafür habe ich kaum Zeit, denn auch mein Bauch knurrt. Den ganzen Tag hatte ich keine Zeit zum essen.
Zwei liebe Stammgäste kommen, um bei uns einen Schlummertrunk zu nehmen.Sie laden mich auch zu einem Schnaps ein. Da ich kaum Zeit habe, trinke ich in einem Zug das ganze Gläschen leer. Jetzt ist mir schwindlig.
Mein Kopf platzt fast vor lauter Vögeln.
Endlich habe ich Zeit, um kurz auf`s Klo zu gehen.In der Eile bemerke ich nicht, dass mein Rock hinten in meiner Unterhose steckt. Alle Leute schauen so komisch. Ich bemerke es endlich, schäme mich zu tiefste und renne in den Garten und weine und schreie. Leider hört keiner meine Not. Nur die Vögel in meinem Kopf zwitschern wild durcheinander.
Der Jodlerclub kommt und alle wollen eine grosse, reich belegte Pizza und viele, viele Bierstangen. Oje, denn die Küche ist schon fast aufgeräumt. Nun muss mein Mann wieder von vorne anfangen mit backen. Er sieht müde aus und ist am schwitzen.
Es ist Zeit, meine Kinder ins Bett zu bringen. Das muss sehr schnell gehen. Der Gesang des Jodlerclub`s dringt bis in unsere Wohnung. Das Gemisch aus ihren Gesang und dem Gesang meiner Vögel in meinem Kopf macht mich ganz konfus. Und meine Kinder erzählen mir dazu ihren Tag. Aber das dringt nicht mehr ganz durch meine Ohren bis zu meinem Hirn.
Jetzt muss ich mich um den Geschirrberg kümmern.
Mein Mann putzt erneut die völlig verklebte Küche und hört dazu Hartrock. Und zwar sehr, sehr laut.
Aus der Gaststube erklingen Jodellieder und die Abwaschmaschine rattert und surrt. Ich versuche die Vögel aus meinem Kopf zu verscheuchen. Es gelingt mir nicht. Es werden immer mehr.
Wie durch einen Nebel erkenne ich eine Horde junger Leute in die Gaststube treten. Als ob ihre Stimmen von weit, weit weg kommen, höre ich ihre Bestellungen und schreibe sie auf einen Zettel.
Mein Mann muss noch mal neun grosse Pizza machen. Dabei ist die Küche schon sauber geputzt. Nun wird alles noch mal schmutzig.
Der Jodlerclub ist nicht mehr zu bremsen und die lieben Stammgäste bieten mir einen weiteren Schnaps an. Ich trinke ihn schnell und gleich noch einen.
Immer noch hat es viel schmutziges Geschirr.
Die Kinder kommen aus ihren Betten zu mir runter, denn sie können nicht schlafen. Die Jodler singen sehr laut.
Wie eine Maschine renne ich die Treppe hinauf und wieder hinunter, zu Kindern, Gästen und Geschirr. Endlich ist auch das letzte Löffelchen sauber.
Die jungen Leute, der Club und die lieben Stammgäste sind immer noch da und mein Mann setzt sich zu ihnen.
Das Telefon klingelt. Es ist die Putzkraft. Sie kann morgen nicht kommen, um zu putzen, weil ihre vier Kinder die Masern haben. Na toll. Mein freier Tag ist gestrichen. Dabei sollte ich mich um die Kinder und um die Vögel kümmern.
Die Beiz ist leer. Alle sind nach hause schlafen gegangen. Ruhe ist eingekehrt.
Leider nur aussen. In mir drinnen kann ich keine Ruhe spüren.
Mein Mann beruhigt mich. Er holt draussen Holz, entfacht ein Feuer in unserem schönen Ofen. Mir wird langsam warm und ein bisschen wohler.
Die Vögel jedoch, die schlummern in meinem Kopf.