Vom Wahnsinn

 In Kurzgeschichten

Vom Wahnsinn

Wir alle kennen ihn, den Wahnsinn.

Die Frau wurde fast wahnsinnig, weil ihr Mann zu spät nach Hause kam. Der Mann, weil er die Schraube nicht lockern konnte. Das Kind, weil es gerade dieses Spielzeug nicht haben konnte. Wir alle werden fast wahnsinnig, weil es zu heiss ist oder weil das Rotlicht nicht grün werden will.

Nun, ich wollte etwas mehr darüber wissen und so begann alles, im Sommer, bei Hitze natürlich.

Meine beste Freundin hatte die Stadt satt und zog weg in ein Dorf.

Ruhe, Ruhe, dachte sie.

Pressluftbohrer, Bagger, Walzen, Lastwagen, Teergestank und Hitze schreckten die Freundin aus ihrem unruhigen Schlaf. Die Dorfstrasse, die einzige im Dorf musste saniert werden. Und so begann der Wahnsinn. Autos, Motorräder, Lastwagen, sie alle mussten immer lange am Rotlicht der Baustelle warten. Dabei schalteten die wenigsten ihre Motoren aus und auch nicht ihre Radios. Die Freundin musste sich die ganze Nacht unfreiwillig Konzerte in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen anhören. Manche spielten aus Langeweile von warten mit dem Gaspedal und der Gestank kam aufdringlich zum Fenster des Schlafzimmers herein, in dem meine Freundin schlief, oder besser, sie versuchte zu schlafen.

Dann kamen die Schulferien. Den ganzen Tag hatte die Freundin mit ihren Kindern zu tun. Mama ich habe heiss, Mama ich will ein Eis, Mama ich will ins Schwimmbad, Mama das Wasser ist kalt!!!

Jeden Abend war sie sehr müde. Und der Wahnsinn, der begann jeweils erst Abends. Ihr Mann hatte nämlich ein Speiserestaurant. Ein Abendessen Restaurant. Und wenn alle Leute Feierabend hatten, begann erst ihre Arbeitszeit. Um sechs Uhr kamen die ersten Gäste.

Der elektronische Plastikhirsch Kopf im Eingang des Restaurants sang jedesmal wenn Gäste eintraten fröhlich sein Lied. D`ont wörry, be happy…la-lala-la-lalala-lala-lalala-lalalala-lalala-lalala-lala. Die Freundin konnte den Hirsch nicht mehr ertragen und nahm eine Schere aus der Schublade und schnitt das Kabel durch.

Ruhe, Ruhe, dachte sie.

Endlich im Bett ausgestreckt und einigermassen gemütlich aber mit fehlender Ruhe, über kam die Freundin ein eigenartige, flaues noch nie da gewesenes Gefühl.

Im Restaurant waren noch immer Gäste und es wurde laut gelacht und geredet und das Aufräumen war auch nicht ohne Ton. Dazu fuhren in dieser warmen Nacht viele Leute mit ihren Motorrädern spazieren.

Die Freundin wechselte das Zimmer und dachte an Ruhe. Von dieser Seite war die grosse, laut brummende Abwaschmaschine zu hören. Messer, Gabeln, Löffel die sich aneinander schlugen. Gläser, Teller,Tassen wurden schnell und laut im Kasten versorgt.

Die Freundin suchte todmüde ihren Schlafsack und schwankte in den Garten, um sich zu ihren Kindern ins Zelt zu legen. Endlich Ruhe, konnte sie in ihrem vernebelten Hirn noch entziffern.

Es dauerte nicht lange,bis ein Maulwurf sich den Weg bis direkt unter das rechte Ohr der Freundin freischaufelte. Im Halbschlaf nahm sie es wahr, dieses Scharren und Raffeln und Nagen. Sie klopfte mit der Faust auf den Zeltboden, aber dieses Tier war nicht zu bremsen.

Mit dem Schlafsack flüchtete sie ins Freie und lies sich in der Nähe vom Zelt ins Gras fallen. Wunderbar, eine Sternschnuppe und sie hatte nur noch einen Wunsch. Schlaf.

Aber an seiner Stelle kam die Katze und ihr Schnurren tönte wie eine gefährliche, zum Wahnsinn treibende Motorsäge. Nachdem das Tier sich entschloss diesen fürchterlichen Ton auszuschalten, kam sogleich der Ersatz. Wieder direkt neben den rechten Ohr der Freundin. Ein Schmatzen, unappetitlich, laut und zugleich genussvoll. Sie öffnetet mit letzter Kraft die Augen und sah einen jungen Igel, der an einer dicken, roten Nacktschnecke kaute.

Sekunden später fand sich die Freundin im Wohnwagen wieder.

Ruhe.

Sie versuchte sich zu entspannen. Nach einiger Zeit klappte es sogar.

Fern von Maschinen, Autos und Tieren viel sie in einen merkwürdigen Schlaf.

Nicht lange.

Ihr Mann war mit der Arbeit fertig geworden und stand neben dem Wohnwagen, um den Sternenhimmel zu betrachten. Dazu leerte es seine Blase, musst Wind ablassen und hustete andauernd halblaut.

Nun war es soweit. Der Wahnsinn, der meine Freundin schon die ganze Zeit umzingelte, drang unheimlich in sie hinein.

In ihrem Kopf waren grelle Glühbirnen. Aus ihrem Mund kamen laute Schreie. Ihr Herz war eine Pochmaschine ( 220 Schläge pro Minute ) Ihr Bauch ein harter Felsklotz. Und ihre Beine waren nicht mehr da.

Als sie erwachte, in einem fremden Zimmer, in einem fremden Bett, waren mehrere Tage vergangen und sie konnte sich an nichts mehr erinnern.

Sie schlief sofort wieder ein und erwachte immer nur kurz.

Nach einer langen Zeit ging sie zurück nach Hause. Sie suchte sich eine Wohnung in einem ruhigen Quartier in der Stadt. Der Wahnsinn verschwand langsam wieder aus ihrem Leben.

Diese Geschichte habe ich von meiner besten Freundin. Und meine beste Freundin, das bin ICH.

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Kommentare
  • Bianca
    Antworten

    Halo Esther,
    Das ist eine schöne Geschichte!
    Vielleicht ist es who man der Fokus habt, das angenehme oder das was irritiert.
    Hier im Hause ich habe eine gleiche situation was passiert beim Ankunft heute (nach mein Arbeit) uber Mull in Wohnzimmer, Badezimmer, Küche und jeden zimmer…..
    Das macht mich zum Wahnsinn!!!!

    Ich liebe das lila Bild und das Wasser Bild, sie sind sehr nett

    Tschüss

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